Israel-Gaza-Krieg: WHO bezeichnet Schifa-Krankenhaus als »Todeszone« (2024)

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Israel-Gaza-Krieg: WHO bezeichnet Schifa-Krankenhaus als »Todeszone« (1)

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist nach Einschätzung internationaler Hilfsorganisationen katastrophal. Ein Team der Vereinten Nationen unter Leitung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besuchte am Samstag das Schifa-Krankenhaus, um die Lage vor Ort zu beurteilen und einen möglichen Evakuierungseinsatz zu planen. Der Bericht, den die WHO anschließend veröffentlichte, zeichnet ein dramatisches Bild. Das Krankenhaus sei mittlerweile eine »Todeszone«, heißt es darin, die verbliebenen Patienten und das medizinische Personal seien »verzweifelt«.

Die größte Klinik im Gazastreifen steht derzeit im Fokus der israelischen Militäroperation. Die israelische Armee sucht auf dem Gelände des Schifa-Krankenhauses seit Tagen nach der Hamas-Einsatzzentrale, die sie unter dem weitläufigen Komplex vermutet. Israelische Soldaten sind seit Tagen in und um die Klinik im Einsatz – ungeachtet internationaler Kritik an dem militärischen Vorgehen in einem Krankenhaus.

Die Lage ist unübersichtlich, Angaben lassen sich nur schwer überprüfen. Die palästinensische Gesundheitsministerin Mai al-Kaila hatte am Samstag im Westjordanland berichtet, Patienten und medizinisches Personal seien gezwungen worden, die Klinik innerhalb einer Stunde zu verlassen. Nach der Evakuierung seien nur noch fünf Ärzte in dem Krankenhaus verblieben. Die israelische Armee entgegnete, zu keinem Zeitpunkt die Evakuierung von Patienten oder medizinischem Personal angeordnet zu haben. Die Ausweitung der Evakuierung geschehe auf Wunsch des Klinikdirektors, erklärte das Militär. Augenzeugen im Gazastreifen bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass Hunderte Menschen am Samstag den Krankenhauskomplex zu Fuß in Richtung Süden verlassen hätten.

Massengrab vor dem Klinikgebäude

Die Angaben des Uno-Teams dürften als vertrauenswürdig gelten. Von seinem Besuch im Schifa-Krankenhaus berichtet es, dass noch immer 291 Patienten und 25 medizinische Mitarbeitende in der Klinik seien. Darunter seien 32 Babys in »extrem kritischem« Zustand, 22 Dialysepatienten sowie zwei Menschen in Intensivbehandlung. Die überwiegende Mehrheit der Patienten seien Kriegsverletzte mit teils komplexen Frakturen, Amputationen, Verbrennungen, Kopfverletzungen und schweren Wirbelsäulenverletzungen, die sich ohne medizinische Hilfe nicht bewegen können. Viele der Patienten hätten schwer infizierte Wunden, weil es im Krankenhaus keine Maßnahmen zur Infektionskontrolle mehr gebe und keine Antibiotika zur Verfügung stünden.

Inzwischen hat die von der radikalislamischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde nach Angaben der Nachrichtenagentur die Evakuierung aller Frühgeborenen gemeldet. Sie sprach dabei von 31 Babys. Ob es sich insgesamt nur um 31 Kinder gehandelt hat oder ob ein Baby in der Zwischenzeit verstorben ist, blieb zunächst unklar. Die Babys würden von »drei Ärzten und zwei Krankenschwestern« begleitet, sagte der Generaldirektor für die Krankenhäuser im Gazastreifen, Mohammed Zakut, der Nachrichtenagentur AFP am Sonntag. Es seien »Vorbereitungen im Gange«, um die Frühchen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten zu bringen. Auch der palästinensische Rettungsdienst Roter Halbmond meldete die Evakuierung von 31 Frühchen.

Israels Armee habe eigenen Angaben zufolge gut 6000 Liter Wasser und gut 2300 Kilogramm Lebensmittel in das Schifa-Krankenhaus gebracht. Doch die WHO berichtet: Es fehlen Wasser, elektrischer Strom, Medikamente und medizinische Ausrüstung sowie Lebensmittel in dem Krankenhaus.

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Das Team habe am Eingang des Krankenhauses ein Massengrab vorgefunden und sei informiert worden, dass dort mehr als 80 Menschen begraben seien, schreibt die WHO weiter. Viele Menschen seien in den vergangenen zwei bis drei Tagen aufgrund der prekären Versorgungssituation gestorben. Überall seien Spuren von Granatenbeschuss und Gewehrfeuer sichtbar. Aufgrund der Sicherheitslage sei eine effektive Müllentsorgung nicht mehr möglich, auf dem Gelände sei medizinischer und fester Abfall verteilt, was zu einem hohen Infektionsrisiko führe.

»Das einst größte, modernste und am besten ausgestattete Krankenhaus in Gaza funktioniert als medizinische Einrichtung praktisch nicht mehr«, schreibt die WHO. Es könne keine Patienten mehr aufnehmen. Verletzte würden an das völlig überlastete und kaum noch funktionierende Indonesische Krankenhaus in Gaza-Stadt verwiesen.

»Angesichts dieser erbärmlichen Situation und des Zustands vieler Patienten, darunter Babys, bat das Personal um Unterstützung bei der Evakuierung von todkranken Patienten, die dort nicht mehr versorgt werden können«, schrieb WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus auf X, ehemals Twitter. Man arbeite mit Partnern daran und verlange Unterstützung für diesen Plan. Tedros nannte weder Israel, noch die Hamas beim Namen. »Die derzeitige Situation ist unerträglich und nicht zu rechtfertigen«, schrieb er. »Feuerpause. JETZT«, fügte er hinzu.

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Die WHO will nun schnellstmöglich einen Evakuierungsplan für die verbliebenen Patienten, Mitarbeitenden und ihre Familien erarbeiten. In den kommenden 24 bis 72 Stunden sollen demnach Menschen aus dem Schifa-Krankenhaus ins Nasser-Krankenhaus und das Europäische Krankenhaus im Gazastreifen gebracht werden, obwohl diese bereits überfüllt sind. Dafür müssten von beiden Konfliktparteien sichere Transportrouten zugesichert werden.

Feuerpause möglicherweise in Aussicht

Seit Tagen drängen Hilfsorganisationen auf eine humanitäre Feuerpause zwischen Israel und der islamistischen Hamas, um Hilfsgüter liefern und Kranke verlegen zu können. Eine solche könnte unmittelbar bevorstehen. In einem unter Vermittlung der USA verhandelten Abkommen erwägen die beiden Kriegsparteien demnach eine fünftägige Feuerpause, in der Dutzende von der islamistischen Terrororganisation im Gazastreifen festgehaltene israelische Geiseln freigelassen werden könnten. Am Morgen hieß es zunächst, eine Einigung sei bereits erzielt worden. Doch wenig später dementierte die US-Regierung diese Behauptung wieder.

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»Die anhaltenden heftigen Kämpfe und der Granatenbeschuss in Gaza-Stadt hindern Tausende von Menschen daran, das Gebiet sicher zu verlassen«, berichtet auch die Nothilfe-Organisation »Ärzte ohne Grenzen« (MSF), deren palästinensische Mitarbeitende in Nord-Gaza festsitzen. In den vergangenen Tagen habe MSF versucht, Mitarbeitende und deren Familien aus den Räumlichkeiten der Organisation nahe dem Schifa-Krankenhaus zu evakuieren. Doch die 137 Menschen, darunter 65 Kinder, seien seit mehr als einer Woche eingeschlossen. Vergangenen Dienstag sei das Gästehaus von »Ärzte ohne Grenzen« beschossen worden, heißt es einer Pressemitteilung zufolge. Es habe glücklicherweise keine Verletzten gegeben. Am Donnerstag sei dann das Bürogebäude von Granatsplittern getroffen und der Wassertank des Gästehauses beschossen worden.

Konvoi von »Ärzte ohne Grenzen« beschossen

Am Samstagmorgen versuchte MSF, seine Mitarbeitenden mit einem Konvoi Richtung Süden zu evakuieren. Die Kolonne habe aus fünf Autos bestanden, die deutlich mit der Bezeichnung »Ärzte ohne Grenzen« gekennzeichnet waren. Dennoch wurde der Konvoi angegriffen, ein Angehöriger eines MSF-Mitarbeitenden sei getötet worden, ein weiterer wurde verletzt. Die Organisation habe beide Konfliktparteien zuvor über die Evakuierungsaktion informiert, heißt es in einer Mitteilung von MSF.

Der Konvoi sei über die von der israelischen Armee angegebene Route gefahren. Als die Fahrzeuge am überfüllten Checkpoint angekommen waren, ließ die israelische Armee sie nicht passieren. Die MSF-Mitarbeitenden hätten Schüsse gehört und seien aus Angst Richtung MSF-Gelände umgekehrt, so heißt es in der Mitteilung. Kurz vor dem Büro sei der Konvoi dann – angeblich absichtlich – angegriffen worden.

»Ärzte ohne Grenzen« fordert einen sofortigen Waffenstillstand und die Errichtung sicherer Evakuierungskorridore. Sonst liefen Menschen, denen es an Essen und Trinkwasser fehle, Gefahr, »in den nächsten Tagen, wenn nicht gar Stunden«, zu sterben, warnte die Organisation. »Unsere Kolleginnen und Kollegen hören die ständigen Geräusche von Schüssen, Granaten und Drohnen«, sagt Ann Taylor, Leiterin des MSF-Einsatzes in den palästinensischen Gebieten. »Sie sind verängstigt, die Lebensmittel sind ihnen schon vor einigen Tagen ausgegangen, und die Kinder sind durch das Trinken von Salzwasser krank geworden. Sie müssen jetzt evakuiert werden.«

Angriffe auf Flüchtlingslager – mehr als 80 Tote

Am Samstag trafen zwei Angriffe Ziele in der Flüchtlingssiedlung Dschabalia im Norden des Gazastreifens. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums wurden die von der Uno betriebene und als Flüchtlingsunterkunft genutzte Fachura-Schule und ein weiteres Gebäude getroffen. Bei dem Angriff auf die Schule seien »mindestens 50 Menschen« getötet worden, bei dem Angriff auf das andere Gebäude 32 Mitglieder einer Familie.

Online verbreitete Aufnahmen zeigten mit Staub und Blut befleckte Leichen in der Fachura-Schule, wo Matratzen unter Schulbänken ausgebreitet waren. Die Echtheit der Videoaufnahmen konnte bei einer Überprüfung durch die Nachrichtenagentur AFP bestätigt werden. Die israelische Armee erklärte gegenüber der AFP, sie habe »Berichte über einen Vorfall in der Region Dschabalia« erhalten und untersuche diese derzeit. Zum Kampfgeschehen im Gazastreifen erklärte die Armee, israelische Soldaten seien in die Gegenden um Dschabalia und Seitun im Norden des Gazastreifens vorgedrungen.

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Der Krieg zwischen der islamistischen Hamas und Israel hatte am 7. Oktober begonnen. Damals drangen Hunderte Kämpfer der Terrororganisation Hamas nach Israel ein und verübten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten. Rund 1200 Menschen in Israel wurden nach israelischen Angaben getötet, zudem wurden etwa 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.

Als Reaktion auf den Angriff der Hamas begann Israel mit massiven Angriffen auf Ziele im Gazastreifen, inzwischen sind auch Bodentruppen in das Gebiet eingerückt. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seit Beginn der Angriffe rund 12.300 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet.

kry/dpa/AFP

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